Verhaltensintention und ihre Repräsentativität

Beitragsbild Verhaltensintention und ihre Repräsentativität

Das Thema Jobwechsel oder auch „Great Resignation“ dominiert aktuell alle HR-Publikationen und Studien. Auch unser Gründer Prof. Dr. Simon Werther schreibt in der Juliausgabe der Personalwirtschaft zu diesem Thema. Wir greifen seinen Artikel „Kündigungsabsicht ist nicht gleich Kündigung – warum Umfragen zur Verhaltensintention oft wenig über das spätere Verhalten aussagen“ in diesem Magazinbeitrag auf. Dabei betrachten wir insbesondere die Lücke, die zwischen Verhaltensintentionen und Verhalten auftut. Diese hat nämlich diverse Implikationen für Unternehmen und das Verständnis aktueller Studien. 

Relevanz des Themas Verhaltensintention

Sowohl innerhalb, als auch abseits der HR-Fach-Community wächst die Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema „Great Resignation“, oder wie es optimistisch in den LinkedIn 2022 Global Talent Trends heißt: „Great Reshuffle“. Obgleich das Thema im Fachbereich Recruiting & Talent Management bereits seit Jahren alles andere als unbekannt ist, haben die Auswirkungen der Pandemie nochmals für Presse-Aufwind gesorgt. Auf sämtlichen Plattformen erscheinen neue Studien zum Thema Wechselintentionen und Kündigung. Alle aktuellen Studien, Artikel und Schlagzeilen betonen dabei im Kern die hohe Wechselbereitschaft eines Großteils der arbeitenden Bevölkerung. Gerade weil das Thema aktuell ein Top-Trend der HR-Welt ist und viele Schlagzeilen sich aufsehenerregenden Statistiken bedienen, ist es umso wichtiger daraus entstandene Studien kritisch zu hinterfragen. Nur weil Untersuchungen aktuell bei vielen Personen eine hohe Kündigungsabsicht herausstellen, heißt es nicht, dass alle Unternehmen in den nächsten Jahren von riesigen Kündigungswellen betroffen sein werden.

Grundsätzlich sind Studien mit großem Stichprobenumfang ein hilfreicher Anker, um solche umfassenden Phänomene auf dem Arbeitsmarkt einzuschätzen. Dennoch mangelt es oftmals an Transparenz und der Einhaltung wissenschaftlicher Standards bei der Stichprobenauswahl, um tatsächlich verbindliche Einschätzungen zu erhalten. Um aussagekräftige Schlüsse treffen zu können, sind Stichproben nach gängigen wissenschaftlichen Standards zu schichten. Das bedeutet, dass beispielsweise Branchenzugehörigkeit, Geschlecht, Tätigkeitsgruppe oder andere Attribute repräsentativ für den jeweiligen Anteil in der Gesamtbevölkerung in der Stichprobe vertreten sein sollten. Zudem kann man feststellen: Auch wenn die Studien häufig einen kausalen Zusammenhang andeuten, handelt es sich hierbei korrekterweise lediglich um deskriptive Ergebnisse aus einer Querschnittserhebung. Nur ein experimentelles Untersuchungs-Design würde den Schluss auf kausale Zusammenhänge zulassen und dies ist bei Befragungen, wie sie für diese Art von Studien durchgeführt werden, nicht gegeben. 

Einordnung der Verhaltensintention anhand wissenschaftlicher Modelle

Bei den Studien geht es also um Verhaltensintentionen und nicht um das Verhalten der Mitarbeitenden. Diese Abweichung von Absicht und Verhalten, wird von Psychologen seit Jahren erforscht und in Modellen beschrieben. Der passende Begriff lautet hier Intentions-Verhaltens-Lücke (intention-behavior-gap). Diese Lücke beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass sich Angaben zum Verhalten (Intention) und das tatsächliche Verhalten oftmals stark unterscheiden. Wir alle haben es schon einmal erlebt: Auch Neujahrsvorsätze sind Verhaltensintentionen („Ich will mehr Sport machen!“) und werden dann – wenn wir mal ehrlich sind – nicht immer umgesetzt.

Das Rubikonmodell der Handlungsphasen beschreibt diese Abweichung zwischen Intention und Verhalten. In dem Modell stellt die Intention eine Zwischenstufe in einem größeren Planungsmodell dar. Hierbei ist sie zwischen der Abwägungsphase und der Planungsphase angesiedelt. Während es in der Abwägungsphase noch viele Alternativen gibt, wurde bei der Planungsphase schon ein Narrativ ausgewählt. Das Modell legt weiterhin Wert auf eine Unterscheidung zwischen Zielintention und Durchführungsintention.
Die Zielintention fokussiert dabei auf einen allgemein zu erreichenden Zustand. Dieser steht im Mittelpunkt und es werden keine konkreten Verhaltensweisen geplant (z. B. „Ich möchte einen besseren Job.“). Bei der Durchführungsintention sind verbindliche Verhaltensmuster für bestimmte Situationen und Zeitpunkte zu planen, was weitaus konkreter ist (z. B. „Ich werde meine Kündigung fristgerecht bis zum Ende des Monats einreichen.“). Für Umfragen zur Verhaltensintention, bei denen viele Einflussfaktoren auf das spätere Verhalten wirken, ist es demnach schwierig eine aussagekräftige Durchführungsintention und damit eine Aussicht auf die Planungsphase zu erhalten. Die Zielintention lässt sich dagegen einfacher darstellen, da diese weniger verbindlich ist.

Einflussfaktoren auf die Intentions-Verhaltens-Lücke

Für die Diskrepanz zwischen Intention und Verhalten sind dabei sowohl interne als auch externe Einflussfaktoren verantwortlich. Um beim vorherigen Beispiel der Neujahrsvorsätze zu bleiben: oft sind es motivationale und zeitliche Faktoren, die über die Umsetzung entscheiden. Ein relevanter interner, und damit in der Person begründeter, Einflussfaktor ist die Selbstregulation. Diese umfasst, inwiefern Personen ihr Verhalten tatsächlich an ihren Zielen ausrichten. Externe Faktoren umfassen eine Vielzahl unterschiedlichster Einflüsse in Bezug auf die Umgebung und Situation einer Person. Hierzu zählen zum Beispiel globale Faktoren, wie eine Pandemie oder Krieg, aber auch die individuellen Lebensumstände wie z.B. die Familienplanung der Mitarbeitenden. Da interne und externe Einflussfaktoren oftmals eng zusammenspielen kann sich die Steuerung unseres Verhaltens schlagartig ändern. Begründet durch die Veränderung eigener Ziele oder anderer, externer Umstände.

Abgesehen von der Methodik der Stichprobenerhebung ist außerdem eine interdisziplinäre Betrachtungsweise wichtig. Auch eine soziologische Perspektive unterstützt die Einordnung der „Great Resignation“. Schaut man auf unterschiedliche Generationen, so scheinen eine langfristige Zugehörigkeit zu einem Unternehmen bei jüngeren Generationen nicht mehr so selbstverständlich zu sein, wie bei beispielsweise älteren Geburtenjahrgängen. Außerdem werden jüngere Generationen durch aktuelle kritische Ereignisse wie der Covid-19-Pandemie, Wirtschaftskrisen und Krieg in Europa besonders beeinflusst. Letztlich ändern sich in kürzester Zeit so viele Faktoren, dass sich keine zuverlässige Prognose zur Kündigungsbereitschaft entwickeln lässt.

Implikationen der Intentions-Verhaltens-Lücke für Unternehmen

Die Intentions-Verhaltens-Lücke hat nicht nur Implikationen für das Verständnis aktueller Studien, sondern ist auch an anderen Stellen relevant für die unternehmerische Praxis. So beispielsweise auch in der Organisationsentwicklung.

In der Organisationsentwicklung können Erkenntnisse zur Intentions-Verhaltens-Lücke insbesondere bei der Ausrichtung und Interpretation organisationaler Feedbackprozesse einfließen. Für Organisationen ist es höchst interessant die Verhaltensintentionen der Beschäftigten abschätzen zu können, sei es im Falle Kündigungsabsicht aber auch wenn es um die Planung von Karrierewegen etc. geht. Organisationale Feedbackprozesse sollen genau dies leisten können: Die Intentionen der Belegschaft kann anhand von Mitarbeiterbefragungen, Puls-Befragungen und anderen Feedbackinstrumenten abgebildet werden. Dabei hat die Veränderung im Zeitverlauf (negativer oder positiver Trend) eine weitaus höhere Repräsentativität als eine absolute Zahl. Auf diese Art und Weise lassen sich Verhaltensintentionen und ihr Zusammenhang mit tatsächlichem Verhalten besser einschätzen. Benchmark Ergebnisse zu anderen Unternehmen sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten, da auch hier die Intention der Mitarbeitenden durch verschiedene beeinflussbare Faktoren verändert werden kann. Dies ist auch eine gute Nachricht: Die Organisations- und Führungskultur, sowie externe Einflussfaktoren wirken auf den Zusammenhang zwischen Intention und Verhalten der Mitarbeitenden. So können Sie durch den gezielten Einsatz von Feedbackinstrumenten, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung steuern, ob sich eine Verhaltensintention (z.B. Wunsch nach Weiterbildung) tatsächlich in Verhalten überträgt (z.B. an einem Training teilnehmen). Auch Kündigungsabsichten kann so entgegengewirkt werden, sodass Talente und Fachkräfte dem Unternehmen erhalten bleiben.

Auch wir beachten bei der Gestaltung von organisationalen Feedbacksystemen Erkenntnisse aus der psychologischen und Sozial-Forschung, um unsere Kunden entsprechend von der Aufstellung des Fragebogens bis hin zur Interpretation der Ergebnisse beraten zu können. Wenn Sie hierzu Fragen haben oder Ihre Erfahrungen zum Thema „Great Resignation“ und Intentions-Verhaltens-Lücke teilen möchten, kontaktieren Sie uns gerne.

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